Im Interview mit Bastian Barami wurde ich offiziell zur digitalen Nomadin ernannt. Und wer, wenn nicht Bastian, weiß wovon er redet, wenn es um das digitale Nomadentum geht. Bastian hat eine Ausbildung als Hotelfachmann und ist zweifacher Uni-Abbrecher.

Ein „9 to 5 Job“ hat ihm den Rest gegeben.

Er bezeichnet sich im Rückblick als Gefangener des Systems und hat den Ausbruch gesucht, geschafft und hat nun sein eigenes Online Business – Officeflucht.de. Erfahrt im Interview seine Hintergründe, seine Erfahrungen als digitaler Nomade und wie Unternehmen sich für die Zukunft und die Generation Y aufstellen sollten.

 

Mit den Worten „bitte erschießt mich“ fasst du deine Erfahrungen in deiner Festanstellung im Unternehmen zusammen – erzähl mir Näheres über diese theatralischen Worte.

Nach meiner Hotelfachausbildung bin ich mit Glück in eine Büro-Festanstellung eingestiegen und dachte erst: „Toll. Geregelte Arbeitszeiten, besseres Einkommen und spannende Tätigkeit“. Aber schon nach Kurzem war es einfach nur monoton und so völlig ohne das Gefühl etwas Wichtiges am Ende des Tages geschafft zu haben und dafür Wertschätzung zu bekommen. Das was man tut, darf sich nie belanglos anfühlen. Aber das hat es bei mir. Alles war so träge und ohne größeren Sinn. Ich hab mich gefragt, wofür ich das eigentlich tue. Der bestmögliche Outcome, den ich aus meinem Angestelltenverhältnis erhalten hätte können, wäre gewesen irgendwann die Position des Chefs einzunehmen. Wenn ich mir dann aber anschaue, dass mein Chef auch Montag bis Freitag im Büro sitzt, vielleicht noch länger als ich und ähnlich belanglose Dinge tut, nur um seinen Unterhalt zu verdienen, dann muss ich mir ehrlich sagen, dass ich das auf keinen Fall will. Warum machen die meisten das dennoch Jahrzehnte lang. Das hat für mich nichts mit Erfüllung und Selbstverwirklichung zu tun. Warum sollte ich also ich einem Angestelltenverhältnis bleiben? Dann hab ich gekündigt. Auch erst einmal ohne überhaupt zu wissen, was dann kommen sollte. Von meiner ersten Google Suche mit banalsten Stichworten wie „wie wird man reich?“ bin ich schließlich über die „Nomadenbibel“ (Tim Ferriss – Die vier Stunden Woche) gestoßen und letztlich zu meinem Online Business.

Seither bist du als Digitaler Nomade unterwegs?

Es ging natürlich nicht über Nacht. Es hat etwa 6 Monate gedauert, bis ich in der Lage war, gut von meinem Onlinebusiness leben zu können. Und das war schon verhältnismäßig schnell. Ich verdiene mein Geld mit Onlinehandel und wenn man physische Produkte verkauft, hat man auch direkt einen finanziellen Gegenwert. Nicht so, wenn man selbst digitale Güter erstellt und die Reichweite um diese zu verkaufen erst noch aufbauen muss. Das braucht weit mehr Zeit. Die ganze Logistik ist bei meinem Handel ausgelagert. So kann ich meinen Job nun ortsunabhängig erledigen und reisen wann und wie ich möchte. Einen Wohnsitz in Deutschland habe ich aber weiterhin.

Was ist ein digitaler Nomade für dich und was steckt für dich dahinter?

Es geht dabei um ortsunabhängiges Arbeiten. Egal ob von der heimischen Couch oder von sonst wo auf dem Globus. Als Freelancer sind Digitale Nomaden zu Beginn häufig in den Bereichen Programmierung, Webdesign oder als SEO-Spezialisten tätig. Es gibt aber auch viele professionelle Blogger unter ihnen. Wieder andere haben erfolgreiche E-Commerce Seiten aufgebaut und betreiben ihren eigenen kleinen Online Store oder lassen sogar eigene Güter produzieren. Für mich ist dieser Lebensstil der Inbegriff von Autonomie und Selbstbestimmung. Ortsunabhängig bedeutet für mich auch nicht zwangsläufig, dass ich Non-Stop um die Welt reisen muss. Ich kenne ein paar Nomaden, die wirklich ständig ihren Aufenthaltsort wechseln. Das ist anstrengend, bzw. das Reisen generell ist anstrengend, wenn man ständig in Aufbruchsstimmung ist. Der ein oder andere davon hat damit zu kämpfen, dass er sich heimatlos fühlt und das sollte vermieden werden. Die größte Zufriedenheit sehe ich meistens bei denen, die sich in verschiedenen Ländern eine Art Homebase einrichten und dort jeweils mehrere Monate bleiben und sich richtig einleben können. Stichwort „multilokales Leben“: Es geht beim ortsunabhängigen Arbeiten darum, dass ich spontan entscheiden kann, wo und wie ich arbeiten will, ob auf Reisen oder zuhause. Und hierfür will ich nicht erst die Genehmigung vom Chef einholen müssen.

Schließt sich digitales Nomadentum und Festanstellung in deinen Augen aus?

Das Grundproblem, das ich im Angestelltenverhältnis sehe, ist, dass nicht nach Ergebnis sondern nach Anwesenheit bezahlt wird. Sind wir doch mal ehrlich: man wird eigentlich dafür bestraft, wenn man effizient arbeitet. Wenn ich einen 8h Tag habe und meine Aufgaben bereits effizient nach 4h abgearbeitet habe, dann bin ich dennoch 8h im Büro und bekomme noch mehr Aufgaben. Und deinem Chef ist es grundsätzlich total egal, ob du deine Arbeit statt in 8h, in nur 4h schaffst. Du „gehörst“ ihm trotzdem die vollen 8h. Viele hocken da einfach ihre Stunden auf der Arbeit träge ab, sodass der Chef davon ausgehen kann, dass gearbeitet wird. Was mich persönlich davon abhält je wieder eine ortsgebundene Festanstellung anzunehmen, ist dass man für einen Großteil seines Lebens die eigene Autonomie opfert. Kein Arztbesuch bspw. oder andere Termine können ohne die Erlaubnis des Arbeitgebers wahrgenommen werden. Während der Arbeitszeit ist es so, als wäre man im Besitz des Chefs – moderne Sklaverei. Wie kann man da noch denken frei zu sein oder seinen Gedanken freien Lauf lassen und womöglich noch kreativ sein?

Das bedeutet, dass in deinen Augen Festanstellung und digitales Nomadentum nur mit Arbeitszeitsouveranität funktionieren kann?

Richtig. Es sollte nach Ergebnis und nicht nach Zeit bezahlt werden.

Wie kann aus deiner Sicht digitales Nomadentum in Firmen verankert werden? Was muss sich in der Kultur ändern?

Ehrlich gesagt kann man heutzutage doch praktisch jeden Job digital machen, außer wenn man vielleicht Metzger oder Schreiner ist. Wir sind dank Internet so gut digital vernetzt und haben alles was man an Ausstattung für eine digitale Zusammenarbeit benötigt. Ganz egal wer wo auf der Welt sitzt. Aber die Führungsetagen in unseren Unternehmen ticken einfach viel zu altmodisch. Hier herrscht immer noch die Denke, dass ich meinen Mitarbeiter bei mir haben muss, um zu gewährleisten, dass er seinen Job auch tatsächlich macht. Fakt ist, das „alte“ Modell ist auf Dauer nicht mehr tragfähig. Digitale Nomaden sind ein wichtiger Teil der Arbeitswelt der Zukunft. Natürlich kann und möchte nicht jeder Mensch der Erde Digitaler Nomade werden. Das würde unsere Wirtschaft auch nicht verkraften. Ortsunabhängigkeit wird aber auch in den Unternehmen immer wichtiger werden, um Arbeitskultur wirklich positiv zu gestalten und glückliche Mitarbeiter zu bekommen. Aber ich glaube, dass sich viele Unternehmen gar nicht damit auseinandersetzen. Viele Mitarbeiter möchten so einen Lebensstil auch überhaupt nicht. Sie möchten viel mehr einfach ihr geregeltes Einkommen, ihr Häuschen bauen und ihren Kredit abbezahlen. Sie möchten gar nicht sich selbst überlassen sein und haben eher Angst davor. Für diese Mitarbeiter müssen sich Unternehmen nicht mit diesem Konzept auseinandersetzen. Allerdings gibt es ja noch andere Kandidaten, die gerne rekrutiert werden möchten. Und da bin ich der Meinung, dass es ein nicht zu unterschätzendes Marketinginstrument ist, wenn Firmen ortsunabhängiges Arbeiten anbieten. Auch im größeren Stil wie 100% digitaler Nomade, wie in deinem Fall.

Aus deinen Begegnungen mit anderen digitalen Nomaden: wie hoch ist der Anteil der Festangestellten und wie steht Deutschland im Vergleich zur restlichen Welt da?

Es sind tatsächlich sehr wenige Festangestellte, auf die ich treffe. Vielleicht ein paar wenige Prozent. Digitales Nomadentum steckt in Deutschland absolut in den Kinderschuhen. Aber immerhin gibt es nun endlich einen Namen für das Kind, sodass digitales Nomadentum ein wenig greifbarer wird. Vorreiter sind natürlich die Amerikaner. Hier gibt es eher Festangestellte, die ortsunabhängig für Firmen losgelöst für ihre Teams arbeiten. So manch eines der erfolgreichsten Start Ups heutzutage hat mit einer digitalen Zusammenarbeit gestartet. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass es richtig viel Geld sparen kann, wenn eben keine Büroräume bezahlt werden müssen, sondern digital zusammen gearbeitet wird. Auch bei Programmen wie Remote Year sieht man, dass die Amerikaner Trends setzen, die jetzt langsam aber sicher zu uns nach Deutschland rüber schwappen.

Geprägt von Hinterfragen und Suche nach Sinnhaftigkeit – Sprechen wir bei deinem Werdegang und beim digitalen Nomadentum von einem Generation Y Thema?

Absolut. Ich denke für die Generation Y ist es eine Horrorvorstellung, dass das was sie tut, sie auch die nächsten 30 Jahren tun soll. Die gleiche Tätigkeit, im gleichen Büro, in der gleichen Umgebung. Es geht uns darum etwas zu tun, das uns erfüllt und wo wir uns selbstverwirklichen können. Wir suchen nicht den Firmenwagen sondern Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit hinter dem was wir da eigentlich den ganzen Tag so tun (sollen). Natürlich werden wir so alle ein wenig in der Gesellschaft und vor allem auch bei Unternehmen anecken. Digitales Nomadentum stellt in erster Linie einen alternativen Lebensstil zu dem bisher gewohnten System dar und es geht dabei hauptsächlich um eines: mehr Selbstbestimmung und mehr Freiheit. Viele sind dafür noch nicht bereit, ob einzelne Menschen oder Unternehmen. Die altmodischen Denkmuster zum erstrebenswerten Lebensstil sind noch immer zu sehr verankert. Aber ich bin mir sicher, das wird sich bald ändern.

Bastian, Danke.

 

 

 

 

 

 

 

2 Comments

  1. Nora 22. Juli 2016 at 7:30

    Bastian – Ich finde es spannend, wie du von deinen Beweggründen, ein digitaler Nomade zu werden, erzählst.
    Ich für meinen Teil kann sagen: Ich bin in einem Angestelltenverhältnis, habe aber die Möglichkeit, remote zu arbeiten, egal ob von zu Hause aus oder an einem anderen Ort. Jedoch 100% remote? Das wäre nichts für mich, da ich trotz aller Mobilität und Flexibilität die ich mir wünsche, auch den direkten Kontakt mit Kollegen sehr schätze.
    Aber für mich ist es wirklich so: Allein die Möglichkeit, frei, flexibel und ortsunabhängig arbeiten zu können motiviert mich und macht meinen Arbeitgeber attraktiv!

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  2. Bastian 24. Juli 2016 at 13:46

    Hey Nora,
    vielen lieben Dank!
    Naja, ob man es 100%ig remote macht, ist ja jedem selbst überlassen. Schön ist halt, die Wahl zu haben jederzeit spontan die Biege machen zu können, oder einfach eine freie Zeiteinteilung 🙂

    Wenn ich in Deutschland arbeite, habe ich viel weniger Kontakt mit „Kollegen“ (Gleichgesinnten), als auf Reisen. Daher fühle ich mich zuhause tatsächlich abgekapselter als on the road.

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