Mit meinem aktuellen Aufenthalt in Lissabon befinde ich mich nun bereits im vierten Monat von Remote Year und während dieser Zeit hat sich die eine oder andere Frage an mich gehäuft.  Daher habe ich mich entschieden, heute einmal ein paar persönliche Eindrücke wiederzugeben. Wie geht es einem digitalen Nomaden der Generation Y und was stecken für Erfahrungen dahinter? Woran merke ich, dass ich nun – reisender – digitaler Nomade bin? Hier ein paar Impressionen aus häufigen Fragen und wertvollen Erkenntnissen. Im Interview: Ich mit euren Fragen.

Wie hast du dich in Remote Year eingelebt?

Remote Year fühlt sich mittlerweile ganz normal an. Es ist mein neuer aktueller Lebensstil geworden, der mir als solcher nicht mehr bewusst ist. Daran erinnert, dass das doch etwas ungewöhnlich ist, werde ich immer dann, wenn ich Kontakt mit Leuten außerhalb der Community habe. Folgende Reaktionen höre ich dann häufig: „Was machst du genau? Das habe ich noch nicht verstanden. Wie soll das funktionieren? Wow.“ In unserer Unterkunft in London lebten wir mit Menschen aus aller Welt zusammen. Öfters habe ich hier schon gehört, dass die Leute über uns sagen: „Das ist jemand aus der Gruppe, der alle vier Wochen das Land wechselt und währenddessen arbeitet.“ Die Leute sprechen über unser Konzept und sind fasziniert. Die meisten von uns haben sich mittlerweile sehr gut in das Konzept eingelebt.

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Wie ist es für dich ständig zu reisen und zwischendurch auch einmal in der Heimat zu sein?

In den letzten 3 Monaten bin ich 13 Mal im Flugzeug gesessen, war in insgesamt 7 Ländern unterwegs und habe einige hunderte Kilometer in Mietwägen hinter mir gelassen. Ich kann nun die Lieder meiner Spotifyplaylist einem jeweiligen Land zuordnen, in dem ich sie zuerst gehört habe. Zudem habe ich Musikrituale für Start und Landung beim Fliegen. Zu Beginn haben mich die Reisewege rund um das Fliegen genervt. Mittlerweile nutze ich die meisten Zeiten aktiv für die Arbeit oder das Schreiben. Das hat allerdings auch seine Grenzen – beispielsweise nachts um 4 Uhr. Mein lustigster Moment an einem Flughafen war, als ich zwei Security Mitarbeiter wiedererkannt habe. Nichts desto trotz muss man sagen, dass das Reisen Kraft und Zeit kostet. Mich nervt vor allem das Ein- und Auspacken und nicht zu wissen, ob man diesmal das zulässige Gewicht getroffen hat oder nicht. Beim Heimatbesuch in Deutschland finde ich mich plötzlich als Couchsurfer bei Verwandten und Freunden wieder. Ich freue mich dabei am meisten über die tolle Ausstattung und die große Auswahl an Drogerieartikeln, die ich verwenden darf.

Wie ist es mit nur einem Koffer ein Jahr lang zu reisen?

Auf der einen Seite ist es ganz wunderbar und fühlt sich enorm „leicht“ an. Aber – es ist noch immer zu viel. Bei einer Heimreise habe ich bereits Dinge zurückgebracht und auch meinen Besuchen gebe ich immer wieder etwas mit. Zusätzlich spende ich das ein oder andere Teil. Eine weitere lesson learned: Keine Langzeitreisen mit hellen Sachen. Die Anzahl der verbleibenden weißen Kleidungsstücke in meinem Gepäck hat sich sehr zügig von 5 auf O reduziert. Meine wertvollsten Gegenstände sind auf meiner Reise definitiv eine French-Press, eine Soundbox und eine Mehrfachsteckdose. Zudem schaffe ich es mittlerweile verschiedene Artikel genau in solchen Größen einzukaufen und zu verwenden, dass ich exakt eine Tube für einen Monat benötige. Für mich das größte Fremdwort im Remote Year: Shopping. Dem Materialismus habe ich nun gänzlich den Rücken gekehrt.

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Wie kommst du mit den ständigen Wechseln zurecht?

Sehr gut, deutlich besser als ich es erwartet hätte. Während ich aktuell in Europa reise, benötige ich weniger als 2 Tage, bis ich mich an einem neuen Ort angekommen fühle. Es wird mir auch häufig die Frage gestellt, was bisher meine liebste Stadt war. An vorderster Stelle stehen Belgrad und Lissabon, danach Prag und dann London. Kürzlich hat mich eine Freundin gefragt, wie es denn so ist, wenn man alle vier Wochen in einem anderen Bett schlafen muss, vielleicht ja sogar noch öfters, wenn man währenddessen herum reist. Meine Antwort: „Darüber habe ich ehrlich gesagt noch keine Sekunde nachgedacht.“ Scheint kein Thema zu sein. Die Momente, in denen man aufwacht und erst einmal keinen Schimmer hat wo man ist oder was man hier macht, reduzieren sich auf ein Minimum. Bei meinen ständigen Apartmentwechseln freue ich mich am meisten, wenn bereits Essig, Öl, Pfeffer und Salz vorhanden sind und ich mir nicht jedes Mal wieder eine Basisausstattung zulegen muss.

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Sind vier Wochen in einer Stadt ausreichend Zeit?

In Summe würde ich im Hinblick auf Remote Year sagen „ja“. Denn vier Wochen sind mehr als eine normale Urlaubszeit und geben Zeit, sich gut in einer Stadt einzuleben. Schade und zu kurz ist es, wenn man sich gerade so richtig eingelebt und die Stadt lieben gelernt hat und dann schon wieder weiterziehen muss. Das ging mir in Belgrad so – ich hätte gerne noch mindestens zwei Wochen drangehängt. In anderen Städten wiederum, in denen man sich nicht zu 100% wiederfindet, sind vier Wochen genau richtig, da eine Abreise relativ greifbar ist. Für ein Jahr lang sehe ich den monatlichen Wechsel durchaus positiv. Auf lange Sicht betrachtet, bpsw. wenn man auf eigene Faust als digitaler Nomade unterwegs ist, ist es deutlich zu häufig. Es benötigt viel Energie und Organisation und das Eintauchen in eine Kultur ist nur bedingt möglich.

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Schaffst du es denn regelmäßig Kontakt mit deiner Familie und Freunden zu haben?

Danke an Whatsapp, Telegram und Skype – Kontakt zu halten mit Daheimgebliebenen ist kein Problem. Mit einer Freundin habe ich einen wöchentlichen Jour Fix, mit anderen telefoniere ich mich in einer Skypekonferenz zusammen, mit einer Whatsapp Gruppe date ich alle gleichzeitig up. Mein persönliches Highlight war bisher als meine Eltern es kürzlich sogar geschafft haben, gemeinsam mit mir via Whatsapp zu telefonieren. Im Biergarten, mich auf Lautsprecher und alle Gäste konnten teilhaben. Nichts desto trotz ist es manchmal nicht ganz so leicht, all die Dinge gut unterzubringen. Es möge mir jeder verzeihen, wenn ich Nachrichten zu lange unbeantwortet lasse, ich versuche daran zu arbeiten.

Wie arbeitest du eigentlich genau remote?

Für meine Arbeit bin ich mit Laptop, Smartphone und Headset ausgestattet – mehr benötige ich nicht. Was sonst face-to-face Meetings waren, sind nun Telefonate bzw. Telefonkonferenzen. Ich arbeite mit Skype for Business, was ebenfalls der unkomplizierten und schnellen Kommunikation dient. Hier habe ich die Möglichkeit kurze Nachrichten nicht per Mail sondern via Messenger zu adressieren. Zudem arbeite ich mit Kollegen und Praktikanten sehr viel mit Microsoft OneNote, indem wir die sogenannten digitalen Notizbücher teilen und jeder auf die Notizen der anderen zugreifen kann. Dank dieser Tools ist die remote Zusammenarbeit sehr gut abbildbar. Bisher gab es keinen Technikausfall während der Arbeit. Toi toi toi. Mein einziger „Zwischenfall“ bisher: Kürzlich ging mein Handy aus und schlagartig wurde mir klar, dass ich die PIN seit Monaten nicht mehr benötigt und somit vergessen hatte. Selbstverständlich habe ich auch den PIN Brief nicht eingepackt. Fotographische Gedächtnisse sind in diesem Fall von Vorteil, PIN-Apps zu empfehlen.

Mein privates Equipment hat bereits deutlich anders gelitten. Anzahl der kaputten Kopfhörer: 2. Es bleiben: 1. Anzahl der kaputten Handys nach drei Monaten: 1. Es bleiben: 2. Anzahl der Bilder, die mir dadurch aus den ersten drei Monaten Reise geblieben sind: 0. Gut, dass es 74 andere Remotes gibt, die Dokumentarfilmer oder Photographen sein könnten.

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Wie sind denn die anderen? Entwickeln sich da tatsächlich auch Freundschaften?

Auch wenn ich noch nicht mit jedem der Remotes ausgiebig sprechen konnte, bin ich immer aufs Neue begeistert, wenn ich jemanden näher kennenlerne. Die Vielfalt ist enorm. Sehr viele sind im IT Bereich tätig und wer heutzutage tatsächlich noch ein bestimmtes Bild von ITlern im Kopf hat, der kann sich hier in kürzester Zeit vom Gegenteil überzeugen. Ein paar der Remotes würde ich bereits jetzt als wirklich gute Freunde bezeichnen und einen weiteren Teil als sehr gut Bekanntschaften auf dem Weg zu Freundschaften. Was jedoch viel interessanter ist, ist die Tatsache, dass ich mir sicher bin, dass ich mich uneingeschränkt auf jeden einzelnen verlassen kann, wenn etwas ist. Leider finde ich nicht sehr häufig die Möglichkeit mich mit vielen der Remotes persönlich auszutauschen. Hilfreich ist hier unsere Unterbringung in Apartments als Wohngemeinschaften. Wir werden jeden Monat aufs Neue mit einem anderen Remote oder mehreren anderen Remotes zusammengewürfelt. Dies bietet die Möglichkeit, auch weitereTeilnehmer etwas näher kennenzulernen.

Wie findest du denn nun bisher Remote Year?

Es ist das Richtige für den Start als digitaler Nomade und ich bin fasziniert wie gut es mit dem „working while traveling“ funktioniert. Was einem hierbei aber auch klar sein muss, ist, dass es enorm viel Selbststruktur und –disziplin kostet. Klar gibt es die Momente, in denen ich mich ärgere nicht mehr von einer Stadt sehen oder an Events teilnehmen zu können, weil ich arbeiten muss. Bei anderen ist es aufgrund der Zeitverschiebung oder eigener Zeiteinteilung manchmal einfacher. Aber – dafür bin ich schließlich angetreten und ich bin hier nicht im Urlaub. Wer sich das nicht klar machen kann, der ist hier definitiv falsch.

Zudem, und das ist sicherlich typabhängig, sind mir persönlich die vielen Möglichkeiten an Unternehmungen auch schnell einmal zu viel. Dann klinke ich mich aus und das ist völlig in Ordnung. Es besteht hier keinerlei Zwang an etwas teilzunehmen. Wer sich allerdings im Hinblick auf „FOMO“ nicht im Griff hat, den holt hier schnell der Zugzwang ein, überall dabei sein zu wollen und ständig etwas zu machen. FOMO (Fear of missing out) – die Angst, etwas zu verpassen. Ich bin froh, dass dieses Gefühl bei mir nicht aufkommt und letztlich versuche ich hier auf Remote Year gewissermaßen einen normalen Alltag zu leben und die Stadt parallel zu erkunden. An Wochenenden und freien Tagen lege ich zudem gezielt Ausflüge, um die Umgebung zu sehen. So konnte ich bspw. auch in den letzten Tagen die wunderschöne Algarve erkunden. In diesem Sinne ein kleiner Urlaubstipp: Wer sein Urlaubsziel in 2017 noch nicht festgelegt hat, sollte Portugal in jedem Fall auf seine Liste setzen.

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